Früher war die Hauptaufgabe der Feuerwehren Brandeinsätze zu bekämpfen, heute stehen immer mehr Hilfeleistungseinsätze auf der Tagesordnung, berichtet Ortsbrandmeister Jens Klug, der kurzfristig die Hottelner Kameradinnen und Kameraden zu diesen zweiten Sonderdienst des Jahres eingeladen hat. Die Unfallzahlen im Verkehr stiegen rapide an. Mit grösseren, schnelleren PKW, vermehrtem LKW Aufkommen oder auch mehr Technik am und im Fahrzeug lenkt den Fahrer ab.

Seit 1991 betreut die Freiwillige Feuerwehr Hotteln als Stützpunktwehr einen Teilabschnitt der BAB7, ein Abschnitt mit ohne Geschwindigkeitsbeschränkung. Das birgt natürlich immer die Gefahr eines Unfalls mit Schwerstverletzten und schrecklichen Eindrücken vom Unfallgeschehen.

Aber auch Unfälle im Gemeindegebiet können den Rettern an die Nieren gehen. Unfallbeteiligte können auch Nachbarn, Freunde, Bekannte oder Verwandte sein. Dann führt ein vermeintlicher Routine-Einsatz schnell zu einer persönlichen Krisensituation.

Früher wurde nach den Einsätzen zusammen gesessen und über die Geschehnisse gesprochen, die zum Teil schrecklichen Erlebnisse des Einsatzes „von der Seele geredet“. Das fehlt heute zum Teil. Da wird manchmal zu schnell die „Flucht“ ergriffen. Schnell weiter, zurück in den Alltag, den Beruf oder andere Ablenkung. Das Geschehene, Gesehene, Erlebte runterschlucken, verdrängen.

Gerade der letzte aktuelle Einsatz auf der ICE Strecke hat gezeigt, dass das vermutlich der falsche Weg ist. Schreckliche Bilder hatten die Einsatzkräfte am Unfallort des Suizids vor Augen. Später wurde im privaten Kreis berichtet einige Kameradinnen und Kameraden von Alpträumen und Schlafstörungen. Die Verdrängten Erlebnisse kamen doch wieder.

Das brachte Ortsbrandmeister Jens Klug auf die Idee, hier professionelle Unterstützung zu holen, nachdem er bereits bei dem Dienst nach dem Einsatz appelliert hat, jederzeit auf ihn zu zukommen, sollte es noch einmal zu so einer Situation kommen. Weder der Ortsbrandmeister noch die Gruppenführer als Einsatzleiter können alle Sorgen ihrer eingesetzten Kameraden direkt erkennen. Daher der eindringliche Appell nach einem Einsatz nicht gleich die Flucht ergreifen, sondern miteinander sprechen. Das ganze natürlich auch gern vertraulich. Auch externe Hilfe kann immer angefordert werden.

So zum Beispiel die Krisenintervention und Einsatz-Nachsorge der Johaniter. Hans Otto Roß, pensioniert Johaniter, wurde am gestrigen Montag aus gegebenem Anlass durch Ortsbrandmeister Jens Klug eingeladen, um einmal über seine Arbeit und seine Aufgaben zu berichten. Zusammen mit seinem Dienststellenleiter des Ortsverbandes Hildesheim Thomas Waskow stand er somit einem interessierten Publikum von knapp 30 Aktiven Kameraden der Ortsfeuerwehr Hotteln zuzüglich 5 Kameraden der Polizeidienststelle Sarstedt gegenüber. Die Veranstaltung musste aufgrund der begrenzten Raumverhältnisse des Gerätehauses Hotteln im Dorfgemeinschaftshaus stattfinden.

Hans Otto Roß stellte sich vor als Mitglied des PSNV Teams (Psychosoziale Notfallversorgung der Johaniter), bundesweit über Notfallnummer erreichbar (Kontakt siehe Ende des Berichtes). Eine Erste Hilfe für die Seele.

Er schilderte ergreifende persönliche Erfahrungen u.a. beim ICE Unglück Eschede, dem Brand eines Reisebusses auf der A2 und verschiedenen Gorleben Demos, bei denen es gegenüber der Polizei auch diverse einschlägige Ereignisse gab.

Im Dialog wurden unter den Anwesenden die Auswirkungen solcher Ereignisse und Einsätze erörtert: Schlaflosigkeit, Alpträume, Gereiztheit, Zynismus, körperliches Unwohlsein, Schockstarre, Rückzug, systematischer Alkoholkonsum. Diese oder ähnliche Verhaltensweisen können sich nach Einsätzen einstellen. Die gilt es sensibel zu beobachten, ob bei sich selbst oder den Kollegen.

Stress ist dabei eines der Auslöser, der solche Reaktionen früher oder später hervorrufen kann. Erörtert wurde daher im weiteren Verlauf, wie es dazu kommt.

Stress Startet bereits mit dem Alarm, wenn der Pieper (Meldeempfänger) uns zum Beispiel Nachts aufschreckt. Wer kommt, was kommt auf mich zu, wer ist verletzt,… Fragen, deren offene Antworten auch bereits Stress erzeugen können.

Daher sollte man sich immer wieder die Frage stellen, was kann ich tun, um meine persönlichen Stressoren zu minimieren?

Das ganze nennt man auch Stressanagement. Auf kritische Situationen vorbereiten mit Training und Erfahrung. Situationen werden bewertet und führen zu Reaktionen: emotional, vegetativ oder muskulär (Allgemeine Belastungs Reaktionen – ABR).

Ist dies nicht allein zu bewältigen, kann eine Einsatz-Nachsorge mit professioneller Hilfe angefordert werden. Die macht Sinn direkt nach dem Einsatz bis 4 Wochen später, speziell bei großen Ereignissen.

Folgende Gesprächsstruktur wird dabei gemäß CISM Prozess (Critical Incident Stress Management – Streßbearbeitung nach besonderen Ereignissen) in der Regel angewandt:

Der Gruppenführer/OBM gibt eine Einführung über die Sachlage des Einsatzes mit einem belastenden Ereignis.

Anschließend wird in einem separaten Stuhlkreis mit maximal 15 betroffenen Personen und 3 ausgebildeten Betreuern, ca 40 Min. über das Erlebte gesprochen.

Die Betroffenen sollen sich dabei austauschen, persönliche Eindrücke schildern und besprechen.

Im Anschluss kann es bei Bedarf Einzelgespräche geben. Das ganze fällt unter den Begriff „Demobilisation“.

Eine erste Demobilisation sollte direkt nach dem Einsatz innerhalb der Gruppe passieren, auch bei einem Bierchen oder einem anderen Getränk, so die Empfehlung von Hans Otto Roß.

Grenzen hat die Abteilung PSNV der Johaniter derzeit bei der Krisenintervention und Nachsorge von Zivilpersonen. Dies kann derzeit personell durch die Hildesheimer Gruppe nicht durchgeführt werden. Allerdings besteht immer die Möglichkeit, über den bundesweiten Zentral-Notruf (siehe unten) Hilfe zur Einsatz-Nachsorge anzufordern.

Möglich ist auch die Zusammenarbeit mit der kirchlichen Notfallseelsorgern. Das Vorgen ist hier identisch für die Nachsorge, gemäß den CISM Standards.

Hans Otto Roß vor seinem Einsatzfahrzeug des PSNV Teams. Es beinhaltet alles für den Notfall, vom Notartztkoffer über eine Erste Hilfe Ausrüstung bis hin zu Kuscheltieren und Süßigkeiten.

Der Kontakt zur Einsatz-Nachsorge geschieht über

– die Einsatz-Leistelle per Funk

– 0800 2699701 MIZ bundesweit.

Im Internet ist die PSNV der Johaniter auch erreichbar.